LUNGE Geschichte: Ulf Lunges Lauf-Karriere

Ulf Lunge - Marathon Bestzeit

(Ulfs Zieleinlauf 1983 in Bremen. Mit 2:23:17 Stunden wird er Hamburger Marathon-Meister)

»1983 lief ich zweimal die Marathon-Strecke von 42,195 Kilometer - beide auf die Sekunde genau in meiner Bestzeit von 2:23:17 Stunden. Das erste Mal beim Bremen Marathon, bei dem es zum Titel Hamburger Meister reichte, und das zweite Mal beim Berlin Marathon, wo ich völlig frustriert unter ferner liefen ins Ziel kam.

Nun bin auch ich nicht einfach morgens aufgestanden und habe mir vorgenommen, Hamburger Meister im Marathon zu werden. Dieser Vorsatz trieb mich an, seit ich 16 Jahre alt war. Das heißt, sieben Jahre Vorbereitungszeit und eine Menge Motivation, z. B. durch meinen Vater, der dazu nur ganz trocken meinte: »Das schaffst du nicht. Das ist nur Wenigen vorbehalten«. Also genau mein Ding! Er war als Weinhändler damals quasi Berufsalkoholiker und sollte auf ärztliches Anraten durch das Laufen seine Leber entlasten und auch abnehmen.

Damals war Manfred Steffny einer der entscheidenden Promotoren in einer sehr leistungsorientierten deutschen Laufszene. Die breite Masse hatte Marathon noch gar nicht auf dem Schirm. In Hamburg fand der erste Marathon 1977 in einem kleinen Waldstück in Hamburg Meiendorf als 10-Runden-Lauf statt. 50 Läufer, inklusive mir, und noch weniger Zuschauer gaben der Veranstaltung einen gewissen Underground-Charakter.

Ich hatte aber das Glück, beim Lauftreff Gleichgesinnte zu treffen, die deutlich älter, aber nicht weniger ehrgeizig waren als ich. Mein Training steigerte ich nach sanftem Start von ein Mal pro Woche beim Lauftreff ziemlich abrupt auf ein Mal täglich vor der Schule. Schon cool, wie ich innerhalb kurzer Zeit von „Ulle de Nulle“ zum Sportcrack mutierte.

Mein Ziel, Hamburger Marathonmeister zu werden, hatte ich fest im Auge. Darum beschäftigte ich mich auch mit dem theoretischen Hintergrund. Laufarzt Dr. Ernst van Aaken („Programmiert auf 100 Lebensjahre“), Arthur Lydiard („Running to the top“) und Ron Hill („Long hard road“ Bd. 1 und 2) hießen die Autoren, die sich damals mit Langstreckenlauf-Training befassten.

Meins sah anfangs so aus: täglich 10 Kilometer in 50 Minuten durch den Wald. Das brachte schon eine ganze Menge Grundlagenausdauer. Meinen ersten Marathon, eben 1977 im Meiendorfer Wald, lief ich als 16-Jähriger nach acht Wochen Training in 3:08 Stunden. Im Ziel war ich so erschöpft, dass meine Eltern mich nach Hause tragen mussten. Gegen die Läufer in unserem Verein hatte ich damals noch keine Chance. Jahrelanges Training ist eben durch nichts zu ersetzen, war meine Erkenntnis daraus. Ich steigerte mich darum bis auf zwei Mal täglich laufen und 180 Wochenkilometern. Ich füllte viele Trainingstagebücher, verschliss reichlich Schuhe und experimentierte mit Tempotüchern als Einlagen. Die damaligen Laufschuhe darf man sich nämlich nicht so vorstellen wie die heutigen. Die ersten waren dünn und hart. Überpronation war damit gar nicht möglich. Die Probleme entstanden eher durch eine hohe Ermüdung von Fußmuskulatur und Beinen. Mir taten nach langen Läufen dermaßen Füße und Knochen weh, dass ich hätte schreien können. Meine Idee, Läufer mit top Schuhen zu versorgen, muss an einem solcher Tage entstanden sein. Noch während der Schulzeit eröffnete ich 1979 „Ulf Lunges Laufladen“ in der Bargteheider Str. 136. Mein Bruder Lars stieg 1986 mit ins Geschäft ein. Auch er ist vom Lauf-Virus infiziert, bevorzugte aber den Mittelstrecken-Wettkampf.

Lars und Ulf Lunge nach einem Wettkampf um die Alster 1985

Durch meine Lektüre von Arthur Lydiard, dem neuseeländischen Langstreckentrainer, der mehr eine Broschüre denn ein Buch geschrieben hatte, erkannte ich, wieso Laufen eine so demokratische Sportart ist. Denn durch konsequentes Training kann man sich auch als talentfreie Sport-Null ziemlich weit nach vorne bringen. Dennoch beansprucht das Lauftraining nur maximal zwei Stunden täglich - andere Athleten trainieren bis zu sechs Stunden - und die Ausrüstung ist anders als beim Segeln oder Radsport durchaus erschwinglich.

Nach dem van-Aaken-Motto „Laufen lernt man nur durch Laufen“ fand der Großteil meines Trainings auf der Strecke im Wald oder später mit besseren Schuhen auf der Straße statt. Kilometerfressen fand ich gar nicht so öde wie es klingt. Ich hing meist meinen Gedanken nach und blendete nur gelegentlich die Landschaft wieder ein. Hilfreich war unsere Laufgruppe, die sich ohne Verein nur zum gemeinsamen Training zweimal pro Woche traf. Wir liefen meist 17 Kilometer und fingen langsam an, um uns gegen Ende voll reinzusteigern. Meine Laufkollegen waren locker 20 Jahre älter als ich. Während des Trainings unterhielten wir uns über alle möglichen Themen. Dabei habe ich eine Menge gelernt.

Auf ein akzentuiertes Training mit stufenweiser Steigerung über drei Wochen und einer Woche Erholung folgte eine weitere Runde mit höher angesetzten Kilometer-Leistungen. So ging es weiter bis zum geplanten Haupt-Wettkampf der Saison bzw. drei Wochen davor. Zwei Marathons pro Jahr waren mir mit diesem Training möglich. Im Herbst gab es einen Monat Erholung ohne Lauftraining, aber mit leichtem Bewegungssport wie Squash, Schwimmen oder Radfahren. Im Winter habe ich Krafttraining und Geländeläufe mit in den Plan aufgenommen. Ich fand die Trainingseinheiten zur allgemeinen Kräftigung sehr hilfreich, denn bei hohen Lauf-Leistungen neigt man dazu, von seiner Umwelt als Spargel wahrgenommen zu werden. Ich wog damals bei einer Größe von 1,83 Meter 59 Kilo. Eine Ernährung mit 5.000 kcal pro Tag waren oft nicht genug. Abnehmen durch Laufen - ja, das geht! Braucht aber mehr als sieben Stunden anstrengendes Training pro Woche.

Tempotraining fand bei mir meist in der Gruppe und aus dem Dauerlauf heraus statt. Dadurch verbesserte sich meine Tempolauffähigkeit ganz erheblich. Trotzdem war ich kein Mittelstreckler. Die hohe Sauerstoffschuld kam mir vor wie die Luftnot beim Tauchen - nicht so mein Ding. Mein Ding, das war eher der überraschende Tempoanstieg zwei Kilometer bis 400 Meter vor dem Ziel. Meine Intention: Ich wollte einfach nicht nach 42 Kilometern Wettkampf auf den letzten Metern abgehängt werden, sondern auf jeden Fall gewinnen. Darauf habe ich mich sowohl durch Sprints aus dem Dauerlauf als auch mental durch ganz bewusste Zurückhaltung im Wettkampf vorbereitet. Später als ich insgesamt an meine Leistungsgrenzen ging, blieb mir trotzdem diese Fähigkeit, plötzlich brutal loszusprinten.

Dann der Erfolg: 1983 in Bremen, bei den Hamburger (!) Meisterschaften, lief ich persönliche Bestzeit, obwohl der Tag für mich nicht ideal war. Ich fühlte mich anfangs überhaupt nicht danach, meinen Körper zu quälen. Ich wollte einfach das Rennen so schnell wie möglich hinter mich bringen. Und wie immer beim Marathon wollte ich die Sportart wechseln, weil das Rennen ab Kilometer 30 so fürchterlich schmerzte. Hinterher sieht die Welt dann natürlich wieder ganz anders aus. Ich war glücklich, dass es zeitlich mit 2:23:17 Stunden so gut für mich gelaufen war und ich den Titel „Hamburger Meister im Marathon“ mit nach Hause nahm. Im Herbst habe ich dann in Berlin ohne Absicht genau diese Zeit, wie man sagt, bestätigt - auf die Sekunde genau. Es folgten noch 30:44 Minuten auf 10-Kilometer und viele weitere Wettkämpfe, darunter über 20 Marathons.

Aber irgendwann war für mich der Punkt erreicht, an dem Aufwand und Nutzen aus der Relation gerieten. Seitdem laufe ich nur noch zum Vergnügen - aber das seit über 43 Jahren fast täglich rund 10 Kilometer.«

Ulf vor dem Start als Staffelläufer beim HASPA Marathon Hamburg 2018